Angriffe auf Roma in der Ukraine: Was steckt dahinter?

Hintergrund

Im Westen der Ukraine wurde eine Roma-Siedlung angegriffen und ein 24-jähriger Rom getötet. Es ist nicht der erste solcher Angriffe: Videos zeichnen Bilder ungebremster Gewalt. Die Verbindungen von Rechtsextremen reichen bis in die Regierung.

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Ein Foto der Polizei vom Ort der tödlichen Attacke

Am vergangenen Freitag (23.06.2018) griff eine Gruppe von Minderjährigen eine Roma-Siedlung im Westen der Ukraine an. Ein 24-jähriger Rom wurde getötet, vier weitere Roma mit Messerstichen verletzt, u.a. ein zehnjähriges Kind. Staatliche Stellen versprachen nun eine entschlossene Reaktion und nahmen relativ zeitnah neun Verdächtige fest. Nichtsdestoweniger zweifeln zivilgesellschaftliche Organisationen an der Ernsthaftigkeit dieser Versprechen.

Roma sind eine relativ kleine ethnische Minderheit in der Ukraine. Knapp 50.000 Roma leben in dem Land, das fast zweimal groß ist wie Deutschland. Die meisten Roma leben im Westen der Ukraine – in Transkarpatien, nah an den Grenzen zu Ungarn und Rumänien, sind laut Zensus des Jahres 2001 rund 14.000 Roma gemeldet. Viele Roma, die im Osten des Landes lebten, mussten während der letzten Jahre aufgrund des Krieges aus den Gebieten um Donetzk und Luhansk fliehen. Sie zogen vor allem in die Hauptstadt Kiew, ein natürlicher Magnet für alle Binnenflüchtlinge, aber auch in die westlichen Gebiete, wo ihre Verwandten oder Freunde leben.

Bevorzugtes Angriffsziel der ukrainischen Rechtsradikalen

Zunehmend wurden Roma während der letzten Monate durch rechtsradikale Gruppen beschimpft, schikaniert, dämonisiert. Eine kleine, und oft ausgegrenzte Gemeinschaft wie die der Roma ist auch für die ukrainischen Rechtsradikalen ein bevorzugtes Angriffsziel: Typische Vorurteile gegen Roma werden durch rechte Gruppen intensiv instrumentalisiert. In Zeiten, in denen der russische Angriffskrieg Unsicherheit und eine veritable Wirtschaftskrise über das Land brachte, zeigen sich Teile der Bevölkerung die um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen müssen, anfällig dafür. 

Schon im Winter 2018 geriet eine sich selbst als „Fänger“ bezeichnende, rechtsradikale Gruppe aus dem westukrainischen Lemberg mit ihren Roma-feindlichen und gewalttätigen Aktionen in das Rampenlicht der Medien. Die Gruppe beschuldigte Lemberger Roma, die touristische Attraktivität der Stadt zu schädigen, indem sie die Straßen „verpestet“ und Touristen „bestohlen“ hätten. Es folgten tätliche Angriffe auf die auf den Straßen der Altstadt gesichteten Roma. Die selbsternannten „Fänger“ berichteten danach sogar stolz, sie kooperierten mit der Polizei und lieferten ihr „Beweise“ und  „Verdächtige“. Obwohl zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen diese Übergriffe und Anmaßungen auf Schärfste kritisierten, reagierte die Polizei sehr zurückhaltend und wies darauf hin, dass keine Gesetzesverletzungen festgestellt worden waren.

Die Gruppe C14

Wenige Monate später eskalierte die Situation im ganzen Lande. Ende April setzten Mitglieder der rechtsradikalen Gruppe C14 ein Roma-Lager im Kiewer Park in Brand und stellten ein Video von diesem Anschlag ins Netz. Den Namen „C14“ kann man sowohl als einen Hinweis auf den Neonazi-Begriff der „14 Wörter zum Erhalt der weißen Rasse“ wie auch als „Sitsch“ – ein ukrainisches Wort für eine Kosakensiedlung - interpretieren.

Die meisten Angriffe der Rechtsradikalen gegen Roma wurden von den Rechten selbst dokumentiert, Videos wurden ins Netz gestellt. Diese Videos zeichnen ein düsteres Bild ungebremster rechter Gewalt. So kann man auf einem Video aus Kiew sehen, wie am 07.06. eine Gruppe aus rund 20 Männern, mit Pfefferspray, Baseball-Schlägern und Beilen berwaffnet, ein Roma-Lager in einem Kiewer Park angreift und Zelte vernichtet. Im Bild ist auch ein irritierter Polizist zu sehen, der allerdings nur zuschaut. Die Frauen müssen ihre Sachen einpacken und fliehen.

Nach dem Angriff vom vergangenen Samstag, bei dem ein Todesopfer und vier Verletzte zu beklagen sind, reagierten die Behörden schneller und kündigten umgehend die Festnahme von neun Verdächtigen an, darunter viele minderjährige Schüler. Ob diese punktuell schnelle, strukturell aber verspätete Reaktion des Staates hilft, bleibt fraglich. Denn schon zwei Tage später veröffentlichte  die bisher kaum bekannte rechte Gruppe „Organisation Nemesis“ Fotos von ihrem Angriff auf ein Roma-Lager in Kiew. Mit Molotow-Cocktails und improvisierten Bomben wollen sie ein Lager angegriffen haben, in dem bis zu 20 Roma lebten - zugleich verbreiteten sie auf ihrem Telegramm-Account ein hetzerisches Bekennerstatement.

Weitreichende Verbindungen

Die Intensität der Angriffe hat die ukrainische Gesellschaft erschüttert. Auch internationale Akteure äußerten sich mit Empörung. Einige Vertreter des ukrainischen Staats verwahrten sich allerdings gegen diese Kritik mit zunächst seltsam anmutenden Argumenten. Der Chef der Sicherheitsbehörde SBU Hryzak sagte bei einer Pressekonferenz, Russland und seine Geheimdienste könnten hinter dem Angriff auf Roma in Lemberg stehen. Dies sollte so interpretiert werden, dass der inszenierte Angriff das Ziel verfolgt hätte, die Ukraine zu destabilisieren und ihren Ruf zu schädigen.

Gänzlich an den Haaren herbeigezogen erscheint ein derartiger Vorwurf nicht: Schon vor wenigen Monaten versuchten zwei polnische Neonazis, die zuvor nachweislich auf Seiten prorussischer Kräfte im Osten der Ukraine gegen die ukrainische Armee kämpften, ein Kulturzentrum der ungarischen Minderheit in der Stadt Uschhorod an der slowakischen Grenze in Brand zu setzen. Die beiden Männer wurden festgenommen, ihre Kontakte mit prorussischen Kräften sind bewiesen. Auch die an dem tödlichen Angriff auf Roma beteiligte Gruppe weist einige Merkwürdigkeiten auf – ihr Account in den sozialen Netzen ist nur wenige Wochen alt, die ukrainischen Texte weisen Fehler auf, die für eine Übersetzung aus dem Russischen typisch wären.

Zweifelhafte Verbindungen

Dennoch: Wenn die ukrainischen Behörden nun auf Moskau verweisen, erscheint dies nicht plausibel. Die Männer, die am 07.06. das Kiewer Lager verwüsteten, trugen Uniformen der „Nationalbrigaden“ – einer rechten Gruppe, die zum Kreis der rechtsextremen ukrainischen Partei „Nationalkorps“ gehört, die ihrerseits eng mit dem Freiwilligen-Bataillon Azov (heute ein Teil der Nationalgarde) und mit Innenminister Arsen Awakow verbunden ist. Die Gründung der „Nationalbrigaden“ wurde im Oktober 2017 in Kiew gar mit einem Fackelzug gefeiert. Nur wenige Wochen später lieferten sich die „Nationalbrigaden“ bereits einige Auseinandersetzungen mit der Polizei und präsentierten sich als eine „parallele Sicherheitskraft“, die für „Ordnung auf den Straßen“ sorgen will.

Auch die an Angriffen auf Roma beteiligte Gruppe C14 ist kein im Kreml erfundenes Konstrukt. Erst vor zwei Wochen berichtete der unabhängige ukrainische Sender Hromadske, dass C14 eine staatliche Förderung von insgesamt 13.000 Euro für mindestens vier ihrer „Projekte“ erhielt. Die Behauptung, die Angriffe seien nur importiert, ist nicht nur falsch, sondern verdeckt zugleich mehr als zweifelhafte Verbindungen und originäre Verantwortlichkeiten.

Genau deswegen ist es für die ukrainische Gesellschaft von zentraler Bedeutung, dass die Behörden und die öffentlichen Institutionen sich klar gegen die zunehmende rechtsextreme Gewalt stellen. Diese Angriffe sind zudem nicht nur menschenverachtend und verbrecherisch: Die Rechtsextremen wollen mit ihren Angriffen ihre Strategie der Gewalt legitimieren, und greifen daher eine Minderheit an, die in der Gesellschaft kaum Interessenvertreter hat. Sobald sich die rechten Schläger mit dieser Strategie als Akteure etablieren, werden sie in ihrer Logik auch auf andere Gruppen losgehen.